Der Johannisbrotbaum blüht. Stehe ich in seiner Nähe, duftet es leicht nach Vanille. Der Duft als Verbindung zwischen ihm und mir. Seine Früchte sehen aus wie riesige braunen Bohnen. Wenn man sie öffnet, finden sich im Innern der Fruchthülse kleine, harte Samen. Alle Samen sind etwa gleich schwer. Deshalb wurden sie in der Antike als Wiegeeinheit für Diamanten genutzt. Mit ihnen wurde bestimmt wie viel Karat ein Diamant hat. Der Baum ist also nicht nur mit mir verbunden, und auch nicht nur mit dem Land, auf dem er steht, sondern auch mit einem Teil unserer kulturellen Geldwirtschaft.
Gestern habe ich an fünf verschiedenen Orten je fünf Samen gepflanzt. Vielleicht blühen sie in sieben Jahren, vielleicht dauert es aber auch länger. Er wächst entlang seiner Lebenszeit. 500 Jahre sind für ihn möglich. Wenn er blüht, wird es in seiner Nähe nach Vanille duften. Bild: René Imbaumgarten
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In unserem Leben kann keine positive Veränderung geschehen, solange man sich an den Gedanken klammert, der Grund dafür, dass man nicht gut lebt, liege ausserhalb einem selbst. Jede und jeder entscheidet für sich selbst im ganz persönlichen Leben. Auch wenn die äusseren Einschränkungen übermächtig erscheinen, bleibt immer noch die innere Freiheit und die Wahl darüber, mit welcher Haltung man diese Einschränkungen entgegen nehmen will.
Nietzsche spricht von amor fati (Liebe zum Schicksal): Erschaffe das Schicksal, das du liebst. Wenn man sich auf dieses Gedankenexperiment einlässt, dann stellen sich lebensverändernde Fragen: Was kannst du jetzt in deinem Leben tun, damit du nicht in ein oder fünf Jahren wieder zurückblickst und eine ähnliche Bestürzung angesichts deines Bedauerns empfindest? Welchen Weg im Leben findest du um nicht weiteres Bedauern über dein Leben anzuhäufen? Quelle: Yalom, Irvin D. (2008): In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet. München: btb Verlag Bild: Daniel Nebrada, Pixabay Worte von Experten oder Professorinnen zu hören oder zu lesen, sollte keine passive Erfahrung bleiben. Denn es wäre nur ein intellektuelles Verständnis - und das reicht niemals für ein Gesamtbild aus. Wollen wir beispielsweise die Echtheit von Gold prüfen, dann müssen wir ein Verfahren wählen, das nicht nur theoretisch bleibt, sondern in der Erfahrung wurzelt.
Du kannst alles über den Wald der Drachenblutbäume auf Sokotra wissen und eine ganze Tafel mit entsprechenden Bildern und Formeln füllen, aber bevor du dich nicht in den Wald gesetzt und selber darin unterwegs warst, wird alles, was du über den Wald der Drachenblutbäume zu sagen weisst, hinter dem Erfahrungswissen selbst eines Kindes zurückbleiben. Lebendiges Lernen durch Erfahrung ist nuancenreicher, facettenreicher und nachhaltiger als jemals anhand von Worten möglich wäre. Wenn dieses Wissen als Erfahrung verinnerlicht ist, braucht es regelmässige Übung um Exzellenz zu erreichen. Ein Grossteil des Übens besteht aus Ausdauer und Geduld. Eine Musikerin, die immer wieder dieselben Tonleiterin spielt, scheint vielleicht ein stupides Ritual durchzuführen, bis man den Zusammenhang zwischen Übung und Exzellenz versteht. Wenn wir dann nach und nach die Fortschritte unseres Übens sehen, und seien sie noch so klein, dann sagt uns diese positive Erfahrung: Heureka! Das ist Gold. Quelle: Priyadarshi Tenzin (2020): Dem Sinn des Lebens ist es egal wo er dich findet. München, Knaur. Bild: Faire Ferien, Drachenblutbäume auf Sokotra, April 2022 Folgende Situation:
Eine Mutter belohnt ihren kleinen Sohn jeweils mit Glacé, wenn er den Spinat gegessen hat. Welche zusätzlichen Informationen würden Sie brauchen um die zukünftige Reaktion des Kindes einschätzen zu können, ob a) das Kind den Spinat lieben oder hassen wird, b) es die Glacé lieben oder hassen wird, oder c) es seine Mutter lieben oder hassen wird. Das Wesentliche für diese Einschätzung sind die Informationen, die hier fehlen. Denn es kommt auf den Kontext an und auf das damit eng verbundene Phäonomen der "Bedeutung". Kontext und Bedeutung machen den Unterschied. Dieser Unterschied definiert die Aufteilung der "harten" Wissenschaften und der Art von Wissenschaft, der ich mich verbunden fühle. Quelle: Bateson Gregory (2000): Steps towards an ecology of mind. Chicago: Chicago Press was verwurzlet isch
gheit nid so schnäll um was pflegt wird überduuret chind u chindeschind trages wyter pflegsch es bi dir wirsch ächt pflegsch es ir familie läbt si uuf pflegschs a dym ort het er bestand pflegsch es im land blüeits uuf pflegsch es ir wält wird si ganz ds mass a sich ds mass ar familie ds mass a der gmeind ds mass am land ds mass a der wält näh u warum das? äbe drum das Eine Veränderung wünschen, den Wunsch ins Universum schicken, drei Mal tief Ein- und Ausatmen und - fertig ist der Veränderungszauber. Niemand glaubt an solchen Hokus-Pokus, hoffe ich. Doch im Coaching höre ich manchmal, wie rasch, konfliktfrei und wie von Zauberhand erledigt, Wandel und Veränderung geschehen sollten. Als gäbe es für Veränderungen einen On-/Off-Schalter, als wären Veränderungen keine Lernprozesse, oder als ob Führungspersonen und Mitarbeitende nicht Menschen sondern Motoren sind. Als gäbe es kein Wissen über Kommunikation, System-Dynamik oder Vergemeinschaftungsprozesse. Wenn ich dabei noch die Entwicklung der Achtsamkeitsindustrie in den letzten Jahren betrachte, scheint es als wären nicht mehr Neugier, kritisches Denken und Interesse wichtig, sondern immer anwesendes Wolke-7-Gefühl. Damit plädiere ich nicht gegen das Recht auf persönliches Wohlbefinden, sondern hinterfrage seine Überhöhung und kritisiere den Anspruch eines immer anwesenden Hochgefühls. Denn es ist ok, auch wenn nicht alles nach dem eigenen Plan verläuft. So stärkt man die eigene Resilienz, denn sie entwickelt sich durch Erfahrung. Es muss auch nicht jede (Arbeits-)Beziehung einem gefallen und doch kann sie wertvoll sein. Konflikte und kritischer Diskurs, die sich oft unangenehm anfühlen, wenn man mittendrin steckt, sind Brutplätze für neue Erkenntnisse und Innovationen. Veränderung ist immer verbunden mit Chronos und Kairos, dem Ablauf der Zeit und der Qualität von Zeit. Betrachtet man Wandel als Prozess des (Ver-)Lernens und schaut auf die Erfahrungen von eigenen Lernprozessen, dann versteht man leicht, dass es Zeit braucht. Und diese Zeit braucht bestimmte Qualitäten. So kreieren wir den Veränderungszauber gemeinsam und ohne Hokus-Pokus: die grosse Transformationen für eine nachhaltige Welt.
Coaching-Programm Sustainable Development in Action für Ökonominnen, Siedlungsentwickler, Architektinnen, Prozessmanager, Industrie-Designerinnen, Produzenten und Expertinnnen für Wertschöpfungsketten. Ich muss mich entscheiden. Im Rhythmus des Herzschlages erscheinen Argumente, Gegenargumente, Enthusiasmus, Zweifel. Bunt und vielfarbig entstehen innere Bilder. Ohne Klarheit. Das ist normal, sagt meine innere Supervisorin, nimm diese Unsicherheit als Chance. Jetzt hast du Zeit zum Nachzudenken. Doch ich will nicht Zeit, ich will es jetzt wissen! In Gedanken schreie ich sie an und werfe ihr die Plattitüden wie altes Teegeschirr vor die Füsse. Es scheppert. Tassen und Teller zersplittern. Das weisse Innere der Keramik wird in den Bruchstellen sichtbar. Die blauen Tassen sind nun sichtbar weiss. Es sind weisse Tassen mit blauer Aussenhaut. Was geht mit dieser Erkenntnis einher? Nach Qoholet ist Erkenntnis eine besondere Form des Wissens, die sich durch ihren Wahrheitsgehalt und ihre Begründbarkeit sowohl vom Nichtwissen als auch vom Scheinwissen unterscheidet[1]. Doch die Welt ist komplizierter als ein Teegeschirr.
Deshalb braucht gelingendes Erkennen die Ausdehnung des Erkenntnishorizont auf die ferne Vergangenheit als auch auf die ferne Zukunft[2]. Doch wer kennt die Zukunft? So bleibt Erkenntnis verwehrt und wir leben in einer Gegenwart mit ihren Rätseln - und meiner Frage: wo sind die Orientierungspunkte für Entscheidungen? Durch deine Werte, antwortet die innere Supervisorin. Das sagen viele,, doch frage ich mich, wie abstrakte Werte wie Gestaltungsraum, Wertschätzung oder Nachhaltigkeit in der Entscheidung helfen sollen? Das sind gute Erklärungsprinzipien[3], aber keine Anleitungen für eine Entscheidung. Was bleibt? Wir müssen uns entschliessen, das Unbestimmte als positives Phänomen zu betrachten[4]. Dann können wir Führung durch die Entfaltung von Ereignissen annehmen. Es ist die offene Hand der Welt und die Kraftlinie zwischen mir und dem, was ich sehe[5]. «Ich und die Welt» sind keine losen Fäden sondern ist ein festes Gewebe. Innen und Aussen sind eng verwoben, eine wechselseitige Beziehung. Aus dieser Beziehung bildet die innere Kraft des Menschen die individuelle Form. Zen-Meister Sokei-an sagt: Ich pflanze einen Samen und der Same keimt. Das ist die Antwort der Natur auf mein Tun[6]. Welche Antworten erhalten Sie auf Ihr Tun? [1][2]Schellenberg, Annette (2002). Erkenntnis als Problem: Qohelet und die alttestamentliche Diskussion um das menschliche Erkennen. Freiburg, Göttingen: Universitätsverlag/ Vandenhoeck Ruprecht. [3] Bateson, G. (2017, 12. Aufl.): Ökologie des Geistes. Frankfurt: Suhrkamp [4] Merleau-Ponty, M. (1974): Phänomenologie des Geistes. Berlin: De Gruyter [5] Merleau-Ponty Phenomenology of Perception zitiert in Jacoby, M. (2003): Making Sense of Expression. Dissertation Philosophie, unveröffentlicht EGS European Graduate School [6] Wydler Hudach, A: Die Aufzeichnungen von Lin-Chi kommentiert von Meister Sokei-an Bild von Pixource auf Pixabay Unter dem Titel «Ausbrecherkönigin» erzählt Léa in einem ganzseitigen Inserat über ihren Ausgleich zum stressigen Alltag. Sie fährt mit ihrem Bus in die Berge und erklimmt 4’000er. Die Werbung läuft im Auftrag von auto-schweiz, dem Verband der 35 Generalimporteure von Autos. Ein cleveres Marketing, das fragt welche Beziehung die Schweiz zum Auto hat und gleichzeitig antwortet: «das Auto schenkt ein Gefühl der Freiheit». «Was macht uns glücklich», fragt der Verband für Ausbildungsfachleute im neusten Newsletter. Es wird nicht erwartet, dass wir darüber nachdenken. Der Verband kennt die Antwort bereits: ein Kurs in positiver Psychologie. Zwei Beispiele, die durch ihr Muster den Leser, die Leserin einladen, mitzudenken. Das Mitdenken wir aber gleich wieder auf Stand-By-Modus gesetzt. Damit steht zwischen den Zeilen folgende Botschaft: «nur keinen Stress, alles im Griff. Wir antworten und du bist glücklich, fühlst dich frei und deine Wäsche ist sauber.» Alles nur Werbung? Ja und nein. Denn diese Kommunikationsmuster wirken auf uns, ohne dass deshalb gleich das neoliberale Wirtschaftssystem ‘profit over people’ kritisiert werden muss. Die Analyse ‘Zwischen-den-Zeilen’ teilt uns mit, dass persönliche Fragen zwar gestellt werden, die Antworten aber nicht von uns persönlich, sondern von einer anderen Instanz gegeben werden. Das Muster sagt uns: herausfordernde Fragestellungen zum eigenen Leben werden für uns von jemandem gelöst. Ob Bücher, Promis oder Management-Gurus – auf eine herausfordernde Frage folgt sogleich die richtige Antwort. Doch statt Antworten, könnten wir die Fragen lieben. Rilke lädt dazu ein. Was mich bewegt
von Rainer Maria Rilke Man muss den Dingen, die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt, und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann; alles ist austragen – und dann Gebären. Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht, ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch! Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit. Man muss Geduld haben, gegen das Ungelöste im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forsche jetzt nicht nach Antworten, die dir nicht gegeben werden können, weil du sie nicht leben kannst, und es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein. Wäre Fernsehen ein Indikator für Faulheit, wären wir im 2018 weniger faul gewesen. 2 Stunden pro Tag haben die deutschsprachigen Schweizer*innen im letzten Jahr ferngesehen. Rund 20 Minuten weniger als im 2005. Doch werden für die Statistik nur die traditionellen Medien berücksichtigt. Dank den Angeboten von Netflix & Co. verbringen wir vermutlich viel mehr Zeit mit trägem Nichtstun und unserer Faulheit.
Aus buddhistischer Sicht gibt es vier Arten von Faulheit:
Quellen: Arendt, Hannah (2014): Vita Activa oder vom tätigen Leben. 14. Aufl. München: Piper Kalden, Tenzin (2019): Vier Arten von Faulheit. (Unveröffentlichte Unterlagen). Zürich BFS Medienstatistik 2018 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kultur-medien-informationsgesellschaft-sport/erhebungen/ms.assetdetail.8749.html |
AutorinAstrid Frischknecht Archiv
December 2023
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